Samstag, 13. Februar 2016

Argumente statt Agitation bei Radverkehrslösungen wie Radfahrstreifen und Schutzstreifen


Das Bündnis für Dachau steht für sachliche Argumente, anstatt in der Öffentlichkeit Unsinn zu verbreiten und Popanze hochhalten - darum, hier mal ein paar Fakten.

Grundsatz
Die Möglichkeiten zur Gestaltung des Radverkehrs sind limitiert.

  • Hohe Kosten einer Umgestaltung
  • Kein Platz für Infrastruktur
  • Nicht alles was denkbar ist, ist rechtlich umsetzbar
  • Lösungen können nur im Rahmen der (leider beschränkten) Freiräume der StVO umgesetzt werden.

Straßenverkehrsordnung (StVO)

Am 1.10.1934 trat die erste deutsche Straßenverkehrsordnung in Kraft.
Die Nazi-Regierung machte keinen Hehl daraus wem zukünftig die Vorfahrt gehört. "Ist eine Straße für einzelne Arten des Verkehrs bestimmt (Fußweg, Fahrradweg, Reitweg) so ist dieser Verkehr auf den ihm zugewiesenen Straßenteil beschränkt.“ Dies implementiert eine funktionale Trennung des Verkehrs und eine Benutzungspflicht für Radwege. 

Ein Grund für diese Regelung dafür waren die bevorstehenden Olympischen Spiele 1936 in Berlin. Das Reichsverkehrsministerium in einer Presseerklärung: „Zeigen wir dem staunenden Ausländer einen neuen Beweis für ein aufstrebendes Deutschland, in dem der Kraftfahrer nicht nur auf den Autobahnen, sondern auf allen Straßen durch den Radfahrer freie, sichere Bahn findet.“
 

Diese Prämisse gilt (wenn sie auch langsam aufweicht) noch immer. 

Zumindest in den Köpfen, und wie man im täglichen Kampf zwischen Autofahrer und Radfahrer sieht. 


Radwegbenutzungspflicht 

  • Von 1934 bis 1971 musste jeder Radweg benutzt werden, der als solcher zu erkennen war. 



  • Seit 1971 waren dann – weiterhin gleichermaßen mit und ohne Schild – nur noch Radwege rechts der Fahrbahn benutzungspflichtig.
  • Seit 1980 dürfen linksseitige Radwege nur noch benutzt werden, wenn dies durch eine entsprechende Beschilderung zugelassen ist.
Aus dieser Zeit resultiert, dass quasi jeden Holperpfad mit den blauen Schildern 237/240/241 bestückt wurde.
  • 1997 StVo-Novelle (Radfahrnovelle)
Zitat StVO: "Allerdings befinden sich heute zahlreiche Radwege entweder in einem baulich unzureichenden Zustand oder entsprechen nach Ausmaß und Ausstattung nicht den Erfordernissen des modernen Radverkehrs.
Die Benutzung solcher Radwege ist daher für Radfahrer im allgemeinen nicht ohne weiteres zumutbar.“
 


Damit war die Benutzungspflicht der Radwege in Frage gestellt!
 

Ergebnis der Novelle:
  • Statt des Baus von Bordsteinradwegen können nun auf der Fahrbahn Radfahrstreifen (benutzungspflichtig) oder Schutzstreifen (durch Rechtsfahrgebot ergibt sich eine quasi Benutzungspflicht) eingerichtet werden.
  • Radwege sind seither nur noch bei Kennzeichnung mit den Zeichen 237, 240 und 241 (weißes Fahrrad auf blauem Grund) benutzungspflichtig.
 



  • Tempo-30-Zonen und die Möglichkeit in Einbahnstraßen Radverkehr in Gegenrichtung zuzulassen wurden eingeführt.

Allerdings:

  • betrachteten die Behörden Radwegschilder bis 2013 mehr als Hinweis hier fahren zu KÖNNEN. Die Konsequenz, das durch die Benutzungspflicht Radfahrer auch auf schlechte Radwege gezwungen wurden, wurden schlicht vergessen oder ignoriert.
  • Ab 1998 sollte die Benutzungspflicht anhand von Qualitätskriterien überprüft werden. Dies, wurde meist ignoriert.
  • Seither wird auch zwischen benutzungspflichtigen Radwegen und nicht benutzungspflichtigen, damals so genannten „andere Radwegen“ unterschieden.
Das Resultat: 
    • Breite "Bürgersteige" wurden für Radfahrer freigegeben
    • Schmale Pfade wurden zu Wohle der Radfahrer benutzungspflichtig belassen. 
    • Konflikte zwischen Radfahrer und Fußgänger sind vorprogrammiert.




  • Neufassung der StVO zum 1.4.2013:
    Die Anordnung einer Radwegbenutzungspflicht darf nur zur Wahrung oder Erhöhung der Verkehrssicherheit erfolgen (vgl. 
    Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 18. November 2010). Und nicht, damit zum Beispiel Autos unbehindert oder schneller fahren können.
    • Schutzstreifen und Fahrradstraßen können "pro aktiv" angelegt werden. 
    • Schutzstreifen sind keine Radverkehrseinrichtung zweiter Wahl mehr.
    • Es gelten (endlich) verbindliche Regeln, Breiten und Qualitätsanforderungen für Radverkehrsanlagen.

Die Ausgestaltung regelt die "Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsohrdung (VwV-StVO)"  sowie wird auf die "Empfehlungen für Radverkehrsanlagen" (ERA) der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen verwiesen.

 

Grundprinzip: Radfahrer auf die Fahrbahn

Das Grundprinzip hat sich durchgesetzt, dass Radfahrer im Sichtbereich der Autofahrer deutlich sicherer sind. Dies auch begründet durch Erkenntnisse der Unfallforschung.
  • Im Oktober 2012 hat die Bundesregierung Leitlinien für die Förderung des Radverkehrs veröffentlicht.

 

Der Nationale Radverkehrsplan 2020

NRVP S31. Radverkehrsanlagen müssen daher so gestaltet werden, dass Radfahrende insbesondere an neuralgischen Punkten für den
Kraftfahrzeugverkehr rechtzeitig und gut erkennbar sind, selbst gute Sichtverhältnisse haben und Konflikte zwischen Fußgängerinnen
und Fußgängern und Radfahrenden möglichst vermieden werden. 


Nationaler Radverkehrsplan 2020 



 

Bundesanstalt für Straßenwesen BAST -

Schutzstreifen: Hohe Akzeptanz und geringe Unfallschwere


"Schutzstreifen führen im Vergleich zum Mischverkehr ohne Schutzstreifen zu einer erhöhten Akzeptanz der Fahrbahnnutzung. Sowohl bei zweistreifigen als auch bei vierstreifigen Querschnitten senken Schutzstreifen den Anteil der Radfahrer, die den Gehweg nutzen. 


Zweistreifige und auch vierstreifige Querschnitte mit Schutzstreifen weisen jedoch eine geringere Unfallschwere auf als vergleichbare Strecken mit reinem Mischverkehr. Obwohl Schutzstreifen nicht generell zu verringerten seitlichen Überholabständen führen, ist eine Tendenz zu verringerten seitlichen Überholabständen beim Überholen ohne Gegenverkehr zu beobachten".
Studie BAST- Akzeptanz und Unfallschwere.






Wirtschaftsfaktor Radfahrer

Studie der "Forschung Radverkehr" des Deutsches Institut für Urbanistik (Difu) mit Förderung der Bundesverkehrsministeriums




  • Der Radverkehr befördert die Belebung der Stadtteilzentren und Innenstädte, 
  • er stärkt somit auch den dortigen Einzelhandel.
  • Mehr Fahrrad- und weniger Pkw-Nutzung spart Platz für hohe Aufenthaltsqualität und trägt so zu einem attraktiven,
    anregenden Einkaufsumfeld bei. 
  • Einzelhändler müssen dabei nicht den Verlust von Nachfragepotenzialen fürchten. 
  • Radfahrer stellen eine kaufkräftige und treue Kundengruppe dar.
  • Um sie in die Geschäfte zu locken, soll den Hindernissen beim Einkauf auf zwei Rädern mit einem breiten Serviceangebot, komfortablen Abstellmöglichkeiten und sicheren Straßen begegnet werden. 
  • Dies erfordert das koordinierte Vorgehen von Kommune und lokalem Einzelhandel". 

DIFU Studie - Wirtschaftsfaktor Radfahrer

 

Parksuchverkehr satt Kunden

Studie des Deutsches Institut für Urbanistik (Difu) mit Förderung der Bundesverkehrsministeriums

"Priorität sollten gerechte Mobilitätschancen für alle haben, die Aufenthaltsqualität von Straßen und Plätzen, die Erreichbarkeit von Geschäften und Quartieren und nicht die einseitige Privilegierung des Autoverkehrs. Die Vermeidung und Verlagerung von Verkehr – verbunden mit einer Reduktion des Autoverkehrs – sind Ziele vieler kommunaler Verkehrsentwicklungspläne".


Parksuchverkehr trotz freier Stellplätze
  • Garagen und Stellplätze sind tagsüber oder am Wochenende oft ungenutzt. 
  • Gleichzeitig hält die Nachfrage nach oberirdischem Parkraum an. 
  • Selbst dort, wo Parkhäuser ausgewiesen sind, kommt es zu überflüssigem Parksuchverkehr. 
  • In unbewirtschafteten Gebieten fahnden Parkplatzsuchende zunächst nach kostenlosen Parkplätzen und erst danach nach kostenpflichtigen Stellplätzen oder sie parken falsch. 
  • Falschparker schränken den Raum der Fußgänger ein, behindern alte Menschen und Kinder, die an der Hand geführt werden. 
  • Wo parkende Autos die Sicht blockieren, gefährdet dies Radfahrer und Fußgänger. 
  • Verstopfte Straßen behindern Notdienste und erschweren das Laden und Liefern.


    DIFU Studie - Innenstädte und kostenlose Stellplätze






3 Kommentare:

  1. Zwischen Unfallschwere und Unfallkosten besteht ein Unterschied. Überholabstände sich natürlich von der Breite der Schutzstreifen abhängig.

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  2. In de.rec.fahrrad wurde mal hergeleitet, dass Schutzstreifen das Nahüberholen legalisieren. Da freut man sich doch über jedes 1,25-Meter-Streifchen.

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  3. Das ist Unsinn. Überholabstände sind zwar (leider) nicht in der STVO festgelegt. Durch die Rechtsprechung sind die 1,50 Meter aber allgemeingültig. Schutzstreifen allgemein zu verteufeln ist Kurzsichtig und spielt denjenigen in die Hände, die keine Infrastruktur für nötig erachten.

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